
Wenn die Muttersprache im Gehirn verstummt

Leipzig/Berlin [ENA] In den sterilen Laborräumen der TU München macht Dr. Anna Weber eine erschreckende Entdeckung: Die zunehmende Verdrängung der deutschen Sprache aus der Wissenschaft hat drastischere Folgen, als bisher angenommen Ihre Forschungsergebnisse zeigen einen Sprachwandel ...
Dr. Anna Weber starrte ungläubig auf ihren Bildschirm. Die Ergebnisse ihrer neurolinguistischen Studie waren alarmierend. Als Forscherin an der TU München hatte sie drei Jahre lang die Gehirnaktivitäten von Studierenden untersucht, die ausschließlich auf Englisch studierten. „Das kann nicht sein“, murmelte sie und rieb sich die müden Augen. Die Scans zeigten eine dramatische Veränderung in den neuronalen Netzwerken ihrer Probanden. Die Bereiche, die für komplexes Denken in der Muttersprache zuständig waren, zeigten eine deutliche Regression.
Ihr Kollege, Professor Markus Schmidt, trat in ihr Büro. „Haben Sie die neuen Richtlinien gesehen? Ab nächstem Semester werden alle verbleibenden deutschen Studiengänge auf Englisch umgestellt.“ „Markus, Sie müssen sich das ansehen“, sagte Anna und deutete auf die Bildschirme. „Die Studierenden verlieren nicht nur ihre Sprache – sie verlieren ihre Fähigkeit, in bestimmten Denkmustern zu operieren. Es ist, als würden wir ihnen kognitive Shortcuts nehmen.“
In den folgenden Wochen häuften sich die Vorfälle. Studierende berichteten von einer merkwürdigen „gedanklichen Leere“, wenn sie versuchten, komplexe wissenschaftliche Konzepte auf Deutsch zu erklären. Die Sprache ihrer Großeltern wurde zu einem fremden Konstrukt. Anna entdeckte einen beunruhigenden Zusammenhang: Je mehr die deutsche Wissenschaftssprache verschwand, desto mehr verkümmerten bestimmte Denkstrukturen. Es war, als würde man ein Betriebssystem löschen, während der Computer noch lief.
Eines Abends fand sie eine verschlüsselte E-Mail in ihrem Posteingang. Ein emeritierter Professor aus Berlin hatte ähnliche Beobachtungen gemacht – bei Wissenschaftlern, die seit Jahrzehnten nur auf Englisch publizierten. „Es ist nicht nur eine Sprachverdrängung“, schrieb er, „es ist eine kognitive Transformation. Wir erschaffen eine Generation von Denkern, die in vorgegebenen Bahnen operiert.“ Als Anna ihre Erkenntnisse veröffentlichen wollte, stieß sie auf Widerstand. „Your paper needs to be in English“, wurde ihr mitgeteilt. „And please use more standardized terminology.“
Sie erkannte die bittere Ironie: Ihre Warnung vor dem Verlust der deutschen Wissenschaftssprache konnte nur noch auf Englisch Gehör finden. Während sie widerwillig begann, ihren Artikel zu übersetzen, fragte sie sich, wie viele einzigartige Gedankenkonstrukte dabei verloren gehen würden. In ihrem Büro hing eine vergilbte Kopie eines Zitats von Wittgenstein: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Mit jedem Tag, der verging, wurde ihr klarer, dass diese Grenzen sich immer enger um den deutschen wissenschaftlichen Geist zogen – nicht durch Zwang, sondern durch die subtile Macht der sprachlichen Evolution.
Die Transformation war lautlos, effizient und unaufhaltsam. Wie ein Virus, der nicht den Körper, sondern die Gedanken befiel, breitete sich die linguistische Monotonie aus. Und während die Hörsäle sich mit „international students“ füllten und die „research output“ stieg, verschwand unbemerkt eine ganze Art zu denken. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte mit einem realistischen Hintergrund. Die Namen der handelnden Personen sind frei erfunden.